Expertise
Analyse des Handelskonfliktes und erste Abschätzung der möglichen Folgen
Martin Banse | 06.05.2025
Mit Hilfe einer modellbasierten Analyse haben wir am Thünen-Institut mögliche wirtschaftliche Auswirkungen des aktuellen Handelskonflikts zwischen den USA, Europa und Deutschland in drei verschiedenen Szenarien simuliert. Die Ergebnisse im Einzelnen.
Globale Effekte
Die modellbasierte Szenarioanalyse, die mit dem Allgemeinen Gleichgewichtsmodell Magnet berechnet wurde, zeigt in allen drei Szenarien vor allem Folgendes: Der aktuelle Handelskonflikt wird weltweit zu Wohlstandsverlusten führen und den internationalen Handel verringern und die Warenströme verändern. Besonders betroffen sind Volkswirtschaften, die in erster Linie mit Industriegütern handeln. Dazu gehört beispielsweise Deutschland. Agrar- und Lebensmittelmärkte reagieren hingegen differenzierter auf Zollerhöhungen. In diesen Sektoren verlagern sich die Handelsströme eher. Allerdings sind Szenarien stets Annahmen. Die genaue Entwicklung wird immer erst sichtbar, wenn Höhe und Umfang der Zölle feststehen. Erst dann können unsere Wissenschaftler*innen die Modelle entsprechend anpassen und die Analysen vertiefen.
Auswirkungen auf die US-Wirtschaft
In den USA steigen kurzfristig vor allem die Verbraucherpreise und die Produktionskosten, insbesondere bei importabhängigen Industrien. Auch der Export leidet, weil Gegenzölle erhoben werden und der Dollarpreis möglicherweise steigt.
Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft
In Deutschland würden die steigenden Preise vor allem die Industrie treffen: Produktion und Export von Industriegütern gingen zurück. Importe industrieller Vorleistungen für die Weiterverarbeitung würden ebenfalls sinken , was die Wettbewerbsfähigkeit zusätzlich beeinträchtigen kann. Agrar- und Lebensmittelbereiche hingegen können von Handelsumlenkungen profitieren.
Annahmen für die Szenarien
In der hier präsentierten modellbasierten Analyse wurden drei Politikszenarien (US_only, US_EU und US_all) gerechnet, die mit einer Referenzsituation (Base) verglichen werden. Diese Szenarien lassen sich wie folgt beschreiben:
- Referenz (Base): Projektion der Marktentwicklungen ohne Zolländerungen
- Szenario 1 (US_only): Nur die USA ändern die Importzölle.
Einfuhren aus der EU auf 20 Prozent
aus China auf 104 Prozent
aus Japan auf 24 Prozent
aus allen anderen Länder auf 10 Prozent
Hinweis: Falls für bestimmte Produkte der im Szenario vorgesehene Zoll unter dem bereits bestehenden Ausgangszoll liegt, erfolgt im Modell keine Anpassung des Zollniveaus. - Szenario 2 (US_EU): US-Zölle wie in US_only
EU erhebt reziproke Zölle auf Importe aus den USA in Höhe von 20 Prozent
Hinweis: Falls für bestimmte Produkte der im Szenario vorgesehene Zoll unter dem bereits bestehenden Ausgangszoll liegt, erfolgt im Modell keine Anpassung des Zollniveaus. - Szenario 3 (US_all): wie Szenario 2
Andere Länder erheben reziproke Zölle auf Importe aus den USA in Höhe von 20 Prozent
China erhebt Retorsionszoll in Höhe von 84 Prozent
Hinweis: Falls für bestimmte Produkte der im Szenario vorgesehene Zoll unter dem bereits bestehenden Ausgangszoll liegt, erfolgt im Modell keine Anpassung des Zollniveaus.
In allen drei Szenarien zeigt sich, dass die Volkseinkommen weltweit sinken werden. Der größte Verlierer werden die USA sein. Hier sinkt das Volkseinkommen im Szenario US_all um fast 1,2 Prozent (Grafik 1).
Deutlich wird auch, dass sich die globalen Verluste im Wesentlichen auf drei Regionen bzw. Länder verteilen werden: die USA, China und die EU. Wenn die EU Gegenmaßnahmen ergreift und ebenfalls Zölle auf US-Importe erhebt, wird dies zu deutlichen Einkommensverlusten auch in der EU führen. Eine solche Politik hätte also in der EU weitreichende Folgen und wäre nicht zum Nulltarif zu haben.
Die volkswirtschaftlichen Verluste summieren sich im Szenario US_all weltweit auf mehr als 270 Milliarden US-Dollar (Mrd. USD), wenn die USA und alle anderen Länder gegenseitig Zölle auf Einfuhren erheben (Grafik 2). Wie aus der Grafik deutlich wird, verteilen sich diese Verluste im Wesentlichen auf die USA, die minus 174 Mrd. USD hinnehmen muss, und auf China, wo das Minus 50 Mrd. USD betragen dürfte . Die absoluten Verluste in der EU fallen hingegen eher gering aus. In einigen anderen Ländern, die hier in der Gruppe „Rest der Welt“ zusammengefasst sind, könnten sich sogar leichte volkswirtschaftliche Gewinne ergeben.
In Grafik 3 werden die globalen Veränderungen im Außenhandel deutlich. Verglichen mit den relativ geringen Auswirkungen auf den internationalen Handel mit Agrarrohprodukten und verarbeiteten Nahrungsmitteln führt der US-amerikanische Zollkonflikt zu erheblichen Rückgängen im globalen Handel mit Industriegütern. Hier sinken die globalen Exporte im Szenario US_only um 3 Prozent und US_all um 7 Prozent.
Die Rückgänge entsprächen einem Verlust an weltweit gehandelten Agrar- und Nahrungsgütern von minus 6,2 Mrd. USD (US_only) und minus 11 Mrd. USD (US_all) (Grafik 4). Die Rückgänge im Handel mit Industriegütern und Dienstleistungen übersteigen diese Verluste an Handelsvolumen jedoch bei weitem. Im „worst-case“- Szenario (US_all) sinkt das globale Handelsvolumen um mehr als 940 Mrd. USD und das Volumen der gehandelten Dienstleistungen um fast 250 Mrd. USD.
Die Änderung der Weltmarktpreise, wie sie in Grafik 5 dargestellt sind, fallen unterschiedlich aus. Die steigenden Zölle seitens der USA (US_only) und der EU (US_EU) lassen Weltmarktpreise für die hier ausgewählten Produkte in den Bereichen der Landwirtschaft, der Ernährungswirtschaft und der verarbeitenden Industrie leicht sinken. Bei einem globalen Handelskonflikt aller Länder mit den USA steigen hingegen die Weltmarktpreise leicht an.
Ein wesentlicher Grund für die (leicht) steigenden Weltmarktpreise liegt im Rückgang im internationalen Handel bei einer gleichzeitig deutlichen Verschiebung der internationalen Handelsbeziehungen, d.h. weg vom Handel mit den USA hin zu Handelsbeziehungen mit anderen Regionen. Ob in den steigenden Weltmarktpreisen im Szenario US_all auch die Verzerrung des internationalen Wettbewerbs und die ineffiziente Allokation von Ressourcen zum Ausdruck kommt, muss noch näher untersucht werden.
In den folgenden drei Grafiken 6-8 werden die Auswirkungen auf die Produktion (Grafik 6), die Importe (Grafik 7) und die Exporte (Grafik 8) in den USA beschrieben, die durch die ‚neue‘ US-Handelspolitik ausgelöst werden.
Wirkungen auf die US-Wirtschaft
Während in den beiden Szenarien US_only und US_all die Erzeugung von Agrarprodukten und Nahrungsmitteln in den USA sinkt, löst das Szenario US_EU leicht steigende Produktion in diesen Branchen aus, siehe Grafik 6.
Mit der Erhöhung der Zölle in den USA gehen die Importe – mit Ausnahme von Milchprodukten – deutlich zurück. Wie zu erwarten gehen mit zunehmender Eskalation des Handelskonfliktes die US-Einfuhren immer stärker zurück und sinken im Szenario US_all um 20 Prozent bei Agrarrohprodukten, um zirka 25 Prozent bei Nahrungsmitteln und um 35 Prozent bei Importen von Industriegütern.
Der zunehmende Anstieg der US-Protektion betrifft neben den Importen auch die US-Exporte (Grafik 8). Deutlich sichtbar wird, dass Importzölle, also die Besteuerung ausländischer Güter, indirekt negative Auswirkungen auf die Exporte haben. Aus mehreren Gründen: Zum einen wirken höhere Importzölle auf den Wechselkurs, denn infolge sinkender Nachfrage nach ausländischen Gütern geht auch die Nachfrage nach ausländischer Währung nach unten. Der US-Dollar wertet hingegen auf und die internationale Wettbewerbsfähigkeit US-amerikanischer Waren sinkt.
Zum anderen sind US-amerikanische Unternehmen auf importierte Vorprodukte oder Maschinen angewiesen. Wenn diese Importe aufgrund der Zölle teurer werden, steigen die Produktionskosten in den USA und als Konsequenz verlieren US-Waren an Wettbewerbsfähigkeit.
Allerdings wird auch in dieser Grafik die geringe „Schlagkraft“ der europäischen Gegenzölle deutlich, denn der Rückgang der US-Exporte fällt gegenüber dem Szenario US_only im Szenario US_EU deutlich geringer aus.
In den folgenden Grafiken 9 bis 11 werden die Auswirkungen auf die Produktion (Grafik 9), die Importe (Grafik 10) und die Exporte (Grafik 11) in Deutschland beschrieben, die durch die ‚neue‘ US-Handelspolitik und mögliche Gegenmaßnahmen der Handelspartner ausgelöst werden.
Wirkungen auf die deutsche Wirtschaft
Auf die deutsche Wirtschaft wirken die neue US-Handelspolitik und mögliche Gegenmaßnahmen betroffener Handelspartner spürbar aus. Grafik 9 zeigt, dass die Produktion von Agrarrohprodukten und Nahrungsmitteln in Deutschland etwas ansteigen würde. Die Produktion industrieller Güter würde hingegen zurückgehen.
Grafik 10 verdeutlicht, dass die Importrückgänge vor allem Industriegüter betreffen.
In Grafik 11 werden die Exporteffekte dargestellt: Während die Produzenten von Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln in Deutschland steigende Ausfuhren verzeichnen, erleidet die deutsche Industrie durch sinkende Exporte ihrer Güter starke Einbußen.
Die Entwicklungen im deutschen Außenhandel zeigen, dass die US-Zölle unterschiedliche Sektoren unterschiedlich stark treffen. Während die deutsche Agrar- und Ernährungswirtschaft offenbar neue Marktchancen nutzen kann, ist der Handel mit Industriegütern anfällig für neue Handelshemmnisse, etwa durch Gegenzölle oder gestörte Lieferketten.